Cor? Nona
Ist es Zeit? Zeit zu reaktivieren, was aktiv nie wirklich war? Wohl nicht. Aber selbst wenn nicht, wohl. Ich bin es leid zu hören, dass wir gesund bleiben sollen - nona. Was soll es bedeuten zu hoffen, dass alles wird, wie es war - wünsche ich mir das? uns? Die besten Zeiten liegen hinter uns, und sie waren keine guten. Auch nicht für die, die dachten, besser könnte es nicht werden. Die Apokalyptiker haben Saison. Une saison en enfer. Wer hätte gedacht, dass nicht ein neuer Krieg, sondern ein neuartiges Virus (neuartig? Warum eigentlich, wir kennen Sars, Mers...) uns daran erinnert, dass united we stand, divided we fall? Was ist das Maß der Vereinigung, was das Unmaß des Falls? Welcher Gottesdienst war je nicht absolut virtuell? Wie lächerlich das Beharren auf der "Realität" der Kommunion. Es wird Zeit, dass wir end-gültig in die Virtualität umziehen. Wo Viren wirklich in Quarantäne kommen können. Nicht wir. Mir als bekennendem Soziopathen sind fehlende Kontakte ja egal. Den fehlenden Kontakten ist es aber vermutlich nicht egal, ihr Sein hängt von mir ab. Nähe ist nicht Ent-fernung. das wusste schon Heidegger, und der wusste nicht viel. Oder das Viele, das er gewusst hat, hielt er erfolgreich auf Distanz. Was uns zusammenhält, ist das, was uns zusammen hält. Und das ist nichts, was hält. Nicht einmal unser Herz wohnt uns inne. Es kann uns - nicht fehlen, aber außen vor sein. Vielleicht ist unser Herz par excellence (durch Herausnahme) das, was uns außen vor ist - wo tragen wir unser Herz, wenn nicht auf der Zunge? Wo anders könnten wir es tragen? Im Brustkorb sieht es keiner. Alles, was ist, ist oberflächlich. Ich ist ein Oberflächenphänomen. Die Griechen, auch sie! sie vor allem! waren oberflächlich, aus Tiefe. So Nietzsche. Dessen Schnurrbart auch nicht vermochte, die Leere zwischen seinen Lippen zu kaschieren. Nicht ist lächerlich alles, wenn man an den Tod denkt, sondern denkerisch ist alles, was angesichts des Todes nicht lacht. Bernhard, der Österreicher, unterliegt Bataille, dem Franzosen. Dass das Virus dort am unbarmherzigsten zuschlägt, wo unser Herz schlägt - in der Lombardei, in Italien, "unser Herz weist nach dem Süden" -, ist ein Treppenwitz der Geschichte, ein schlechter. Delphine in Venedig? Who cares? Alles, was Venedig seit Jahrhunderten bedeutet, wurde gegen die Natur errungen, gegen die Delphine. Und gegen die Kreuzfahrtschiffe. Weder letztere noch erstere haben im Canal Grande etwas verloren. Wir haben dort etwas verloren - unsere Kultur, unsere Menschlichkeit, unsere Widernatürlichkeit. Corona ist nicht minder widernatürlich als wir. Zwei Widernatürlichkeiten liegen miteinader in Streit. Vorhersehbarer Gewinner: der Streit. Polemos. "Versöhnung ist mitten im Streit, und alles Getrennte findet sich wieder." Hölderlin, immer schon der Wahre. Die Mitte ist der Streit, ununterscheidbar von der Versöhnung, und was sich wiederfindet, war getrennt - nona.